#1 – Der glykämische Index

Titel
Glycemic index of foods: a physiological basis for carbohydrate exchange

Autoren
David J.A. Jenkins, Thomas M.S. Wolever, Rodney H. Taylor, Helen Barker, Hashmein Fielden, Janet M. Baldwin, Allen C. Bowling, Hillary C. Newman, Alexandra L. Jenkins, David V. Goff

Quelle
The American Journal of Clinical Nutrition 34 (1981) 362-366

DOI/URL
http://ajcn.nutrition.org/content/34/3/362.short

Stichwörter: diet, nutrition, food

#1 — Der glykämische Index

Wie viel Zucker geht vom Essen ins Blut?

Der am häufigsten zitierte Fachartikel im Bereich Ernährung im 20. Jahrhundert ist diese Publikation über den glykämischen Index aus dem Jahre 1981. Bis zu diesem Zeitpunkt war die vorherrschende Meinung, dass die Menge an Zucker im Blut umso mehr ansteigt, desto mehr Kohlenhydrate man zu sich nimmt. Diese Ansicht hat sich als zu einfach herausgestellt. Verschiedene Speisen, welche genau dieselbe Menge an Kohlenhydraten enthalten, können vom Körper anders verarbeitet werden und unterschiedlich viel Zucker ins Blut freisetzen. Insbesondere für Diabetiker ist es sehr wichtig zu wissen, welche Nahrungsmittel den Blutzuckergehalt stark ansteigen lassen. Aus diesem Grund haben die Autoren dieser Studie über 60 verschiedene Speisen an kleinere Gruppen von jeweils 5 bis 10 Probanden abgegeben und gemessen, wie sich die Menge an Zucker im Blut nach Einnahme der Mahlzeit änderte. Die Ergebnisse waren zur Zeit der Veröffentlichung bahnbrechend und dienen heute noch als Grundlage für weit verbreitete Ernährungsprinzipien wie die Montignac-Methode, Glyx-Diät2 oder Logi-Methode3. Die Popularität dieser Ansätze spiegelt sich in der starken Zunahme der Referenzen zu dieser Publikation innerhalb der letzten 10 Jahre wieder (Abbildung 1).

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Abbildung 1. Anzahl Referenzen zu der Publikation von Jenkins und Koautoren durch andere wissenschaftliche Fachartikel.
Quelle: Google Scholar (Stand: 09.09.2016)

Jenkins und seine Koautoren servierten ihren Probanden verschiedene Gerichte, bei denen jede Portion exakt diesselbe Menge an Kohlenhydraten enthielt, nämlich 50 g. Das entspricht in etwa der Menge an Kohlenhydraten einer Tafel Vollmilchschokolade. Nach den Mahlzeiten wurde den Freiwilligen Blut abgenommen und dieses auf Glukose (Traubenzucker) untersucht. Zum Vergleich musste jeder Proband auch eine Zuckerlösung trinken, welche ebenfalls 50 g Kohlenhydrate enthielt, aber in Form reiner Glukose (Glukosetoleranztest4). Natürlich stieg der Blutzuckergehalt nach dem Trinken der Zuckerlösung stärker an als nach jeder Mahlzeit. Somit konnte die Menge an Blutzucker nach dem Essen als Prozentsatz zwischen 0% (kein Anstieg des Blutzuckers) und 100% (Anstieg wie beim Trinken einer Zuckerlösung) ausgedrückt werden. Genau dieser Prozentsatz wurde von den Autoren als glykämischer Index definiert. Der glykämische Index sollte daraufhin sowohl die Ernährungswissenschaft wie auch eine Vielzahl an beliebten Diätansätzen nachhaltig prägen.

Am meisten überrascht waren die Autoren über die grossen Unterschiede zwischen den glykämischen Indizes verschiedener Gerichte, obwohl jede Mahlzeit genau dieselbe Menge an Kohlenhydraten enthielt (Abbildung 2). Sogar ähnliche Speisen hatten zum Teil sehr unterschiedliche Werte. Zum Beispiel wurde für die Süsskartoffel ein glykämischer Index von 48% bestimmt, während für die Pastinake, ebenfalls ein Wurzelgemüse, sogar 97% gemessen wurden. Die Kohlenhydrate in der Pastinake werden also nahezu vollständig zu Glukose umgesetzt und gehen ins Blut über. Im Mittel hatten Hülsenfrüchte den tiefsten glykämischen Index, während der höchste glykämische Index beim Wurzelgemüse gemessen wurde.

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Abbildung 2. Der glykämische Index verschiedener Speisen, wobei jede Speise genau 50 g Kohlenhydrate enthält. Der glykämische Index von Glucose (Traubenzucker) wird als 100% definiert. Die Fehlerbalken sind ein Mass für die Abweichung zwischen den Probanden.

Eine weitere wichtige Erkenntnis war die Tatsache, dass keine Korrelation gefunden wurde zwischen dem Zuckergehalt einer Speise und dem glykämischen Index. Mit anderen Worten, nur weil weniger Zucker drin ist, muss nach der Verdauung nicht zwingend weniger Zucker ins Blut gelangen. Umgekehrt können auch Speisen mit viel Zucker einen geringen Anstieg des Blutzuckers verursachen, wie zum Beispiel bei reiner Fructose (glykämischer Index von lediglich 20%). Ebenfalls hat ein höherer Gehalt an Ballaststoffen in den Speisen nicht zu einem stärkeren Anstieg des Blutzuckers geführt, obwohl Ballaststoffe aus Kohlenhydraten bestehen. Es wurde allerdings eine deutliche Korrelation zwischen dem glykämischen Index einer Speise und dem Fett- und Proteingehalt festgestellt, und zwar eine negative Korrelation. Das heisst, ein höherer Gehalt an Protein oder Fett in einer Speise unterdrückt tendenziell die Freisetzung von Zucker ins Blut. Wieso das so ist, konnten die Autoren nicht eindeutig feststellen.

Zusammenfassend kann man sagen, dass dieser Fachartikel den glykämischen Index als wichtiges Werkzeug für die Klassifizierung von Nahrungsmitteln eingeführt hat. Zum ersten Mal wurde gezeigt, dass nicht nur die Menge an Kohlenhydraten entscheidet, ob eine Speise den Blutzucker ansteigen lässt. Die unterschiedliche Menge an Stärke in der Speise, die Art der Zubereitung, die Textur des Essens sowie Fett und Proteine beeinflussen die Freisetzung von Zucker ins Blut massgeblich.

Sollte man jetzt bei der Auswahl von Nahrungsmitteln systematisch auf solche mit hohem glykämischen Index verzichten, um den Blutzucker tief zu halten? Nein, nicht unbedingt. Denn der glykämische Index allein bestimmt nicht die Menge an Blutzucker, sondern nur in Kombination mit der Menge an Kohlenhydraten im Essen. Das Produkt aus dem glykämischen Index und der Menge an Kohlenhydraten ist die glykämische Last. Ein Beispiel: 50 g Glukose entspricht 50 g reinem Zucker. Im Vergleich enthalten 50 g einer rohen Karotte lediglich 2.4 g Kohlenhydrate5. Das heisst, man muss ca. 1 kg Karotten essen, um auf 50 g Kohlenhydrate zu kommen. Sogesehen ist der hohe glykämische Index der Karotte (92%) kein Grund, auf Karotten zu verzichten, da sie relativ wenig Kohlenhydrate enthält. Die gesunden Inhaltsstoffe wie Carotinoide sprechen eindeutig für den Verzehr des orangen Knackgemüses.

Quellenangaben
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Montignac-Methode
2 https://de.wikipedia.org/wiki/Glyx-Diät
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Logi-Methode
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Oraler_Glukosetoleranztest
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Karotte

Ein Gedanke zu „#1 – Der glykämische Index

  • 21. Oktober 2016 um 10:15
    Permalink

    Verständlich und übersichtlich präsentiert.

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